Plastik in Eissturmvögeln

Sektion, Magenanalyse und die Plastikidentifikation mit Infrarotspektroskopie

Dr. Susanne Kühn, Wageningen Marine Research, Niederlande

Der Eissturmvogel (engl. Fulmar) ist im ganzen Nordseeraum verbreitet und frisst als „Mülleimer der Meere“ praktisch alles, was er an der Meeresoberfläche findet – leider auch viel Plastikmüll. Das macht ihn interessant für die Forschung. Die meisten Länder entlang der Nordsee berichten jährlich über die Entwicklungen der Plastikmenge und -zusammenstellung in Eissturmvogelmägen und tauschen sich in regelmäßigen Workshops aus. Im Oktober 2022 fand wieder ein Fulmar-Workshop statt am Forschungsinstitut „Wageningen Marine Research“ in den Niederlanden. Dabei kam die Infrarotspektroskopie zur Analyse der Polymerzusammensetzung zum Einsatz. Organisatorin Dr. Susanne Kühn berichtet.

Unter fachkundiger Begleitung trafen sich im Oktober 2022 Teilnehmende aus verschiedenen Ländern auf dem „Fulmar“-Workshop. Sie sezierten eine Vielzahl tot aufgefundener Eissturmvögel und untersuchten die Plastikmenge und -zusammenstellung, die von den Tieren verschluckt worden waren. Während des Workshops wurde die Nutzung der Infrarotspektroskopie präsentiert und geübt sowie die Polymerzusammensetzung vieler Plastikteile aus den Mägen identifiziert. Außerdem wurde die Veranstaltung genutzt, um die aktuellen Forschungsstände in den anwesenden Arbeitsgruppen auszutauschen. Die Themen umfassten den OSPAR-Report 2021, Vögel und Windkrafträder in Island, Seehunde und Polymere in deren Ausscheidungen, Polymere in den Vogelmägen an der Ostsee sowie den Bericht über fehlenden Fulmar-Nachwuchs auf Helgoland.[1]

Schon seit 2014 nimmt Shimadzu an dem Fulmar-Workshop teil und berichtet über die Plastikaufnahme der Eissturmvögel.[2] Die Organisatorin des diesjährigen Fulmar-Workshops, Dr. Susanne Kühn, ist eine Expertin auf dem Gebiet der Umweltverschmutzung und ihres Einflusses auf die maritime Tierwelt mit Schwerpunkt auf Eissturmvögeln. Seit 2011 forscht sie am niederländischen Forschungsinstitut „Wageningen Marine Research“ zum Thema Plastikverschmutzung in Eissturmvögeln und anderen Meerestieren. Die Analyse von Polymer-Mikropartikeln in µm-Größe aus Fischmägen mit ihrer Beteiligung wurde bereits in früheren Shimadzu News veröffentlicht.[3, 4, 5]

Der Eissturmvogel – „Mülleimer“ der Nordsee

Der Eissturmvogel ist ein echter Hochseevogel. Außerhalb der Brutsaison verbringt diese Vogelart die gesamte Zeit auf See. Eissturmvögel sind mit ihrer Nahrung nicht wählerisch: Alles, was an der Wasseroberfläche treibt oder schwimmt, zum Beispiel Fisch, Tintenfisch, Krebstiere, Aas und Fischereiabfälle, steht auf dem Menüplan. Diese diverse Nahrungsaufnahme war lange Zeit eine erfolgreiche Strategie der Vögel. Im vorigen Jahrhundert hat sich ihre Population von Island und Schottland aus über den gesamten Nordatlantik, einschließlich der Nordsee, ausgebreitet.

Im gleichen Zeitraum haben allerdings auch die industrielle Produktion und der Gebrauch von Plastik stark zugenommen. Konsequenz: Die Verschmutzung der Meere mit Plastikmüll nimmt zu. Die unkritische Nahrungsaufnahme bei Eissturmvögeln sorgt dafür, dass diese Tiere auch regelmäßig Plastik verschlucken, welches an der Meeresoberfläche treibt. Darum nutzen die EU und alle Nordseeanrainer den Eissturmvogel als Indikator-Spezies. An Stränden tot angespülte Eissturmvögel werden nordseeweit genutzt, um die Meeresverschmutzung mit Plastik zu vermessen. Veränderungen im Laufe der Zeit, lokale Unterschiede sowie Veränderungen in der Zusammenstellung des Plastiks können auf diese Art großflächig und über einen langen Zeitraum beschrieben werden. 


Abbildung 1: Der Eissturmvogel ist ein Seevogel, der nur zum Brüten an Land kommt. In der Abbildung vermisst Frau Dr. Susanne Kühn einen Eissturmvogel während des Workshops.
Abbildung 2: Mageninhalt eines Eissturmvogels. Schaumstoff, Fäden und industrielles Granulat (links). Styroporzellen und verschiedene Fragmente unklarer Herkunft (Jan Van Franeker, WMR), das Lineal im unteren Bildrand zeigt mm-Skalierung (rechts).

Abbildung 3: Workshopatmosphäre bei der Analyse von Plastik aus Mägen von Eissturmvögeln mit dem Shimadzu Infrarotspektrometer IRSpirit

Abbildung 4: Probe NEE-2021-001 Nummer 5 zum Größenvergleich auf dem Messplatz einer QATR-S. Das runde Diamantfenster ist kleiner als 2 mm im Durchmesser (links). Die Probe stammt aus einem Vogelmagen aus Nordostengland (rechts).

Workshop – ein Ort zum Lernen

Während des Workshops wurden neben dem fachlichen Austausch auch standardisierte Methoden gelehrt und kalibriert. Hierbei wurden Alters- und Geschlechtsmerkmale sowie der Zustand des Federkleids und mögliche Todesursachen der Eissturmvögel bestimmt. Der Mageninhalt wurde über einem 1-Millimeter-Sieb ausgespült und alle Plastikteile unter dem Mikroskop sortiert, um später getrocknet und gewogen zu werden.

Mikroplastikanalyse

Durch die Siebung erhält man Fragmente in cm und mm. Je kleiner die Fragmente, desto interessanter die Frage: Wie und was kann man analysieren? Zur Identifikation des Polymers kann für ein schnelles Screening ein Infrarotgerät und/oder Infrarotmikroskop eingesetzt werden. Geht die Fragestellung in Richtung von Additiven (durch REACH gebannte Phthalate oder andere gesundheitsschädliche Beimischungen), die in Kleinstmengen in den Kunststoffen vorliegen, und ob diese den Vögeln oder anderen Tieren, die die Partikel aufnehmen, schaden, dann kann man durch chemische Aufbereitung der Polymere solche Inhaltsstoffe extrahieren, selektiv sichtbar machen und verfolgen.

Die analytischen Gerätetechniken dazu sind GC-MS-Kopplungen mit Pyrolyseeinheit und Elementanalyse ( EDX, AAS, ICP, ICP-MS), die zur Charakterisierung genutzt werden. Die Forschung bemüht sich, dem fraktalen Zerfall in Mikro- und Nanopartikel analytisch nachzukommen.

Abbildung 5: Die Bibliothekssuche mit dem gemessenen IR-Spektrum findet Polypropylen als Hauptkomponente. Die zusätzlichen Signale lassen sich nach Subtraktionsspektroskopie den Proteinen und Fetten zuordnen.

Infrarotspektroskopie

Während des Workshops konnte wegen des schnellen Screenings mit Infrarotspektroskopie (FTIR, Shimadzu IRSpirit) die Polymerzusammenstellung von Plastik aus Eissturmvogelmägen bestimmt werden.

Die hierbei genutzte Infrarotspektroskopie ist die FTIR mit ATR-Technik. Die Proben können ohne nasschemische Aufbereitung, also zerstörungsfrei, auf ein Messfenster gelegt und analysiert werden. Für chromatographische und elementanalytische Untersuchungen wird eine etwas aufwendigere Probenvorbereitung notwendig. Darüber hinaus sind die dafür benötigten Geräte standortfest. Ein IRSpirit hingegen lässt sich auch in den Sezierraum bringen, um dort die Analytik der kurzen Wege zu realisieren. Auch unreine Plastikproben aus Mägen, die noch mit Resten von organischem Material verschmutzt sind, können analysiert werden.

Bei der Infrarotspektroskopie wird mit Wärmestrahlung aus dem Wellenlängenbereich von 2.500 bis 25.000 nm (FTIR üblicherweise 4.000–400 cm-1), je nach eingesetztem Zubehör, gearbeitet. Ein Stoff unter Wärme nimmt Energie auf, die die Moleküle und Molekülgerüste des Stoffes in Bewegung – zum Schwingen – bringt, daher auch Schwingungsspektroskopie genannt. Jeder Stoff reagiert anders auf diese Hitze und gibt sozusagen ein Erkennungsmuster an Schwingungen ab.
Ein kleiner spezifischer Bereich (ca. 700–1.500 cm-1) der gemessenen Wellenzahlen wird daher auch „Fingerprint“(Fingerabdruck-)Bereich genannt. Jedes Polymer weist ein eigenes Infrarotspektrum auf. Sammelt man diese in einer Spektrenbibliothek, kann man schnell eine Identifizierung von unbekannten Stoffen erhalten.

Das schnelle Screening via ATR, die abgeschwächte Totalreflexionstechnik, macht die Analyse sehr effektiv. Die Handgriffe unter ATR-Bedingung wären mit einem Zeitaufwand von ca. 1,5 Minuten per Probemessung zu schätzen:

1. Probe auf das Messfenster legen

2. Probe mit Presseinheit an das Messfenster anpressen

3. Messen (1 Minute akkumulieren)

4. Probe entfernen und Fenster reinigen

Infrarotspektroskopie wird zunehmend genutzt, um die Plastikzusammenstellung in Magenproben zu analysieren. Durch die Analyse können Plastikteile von organischem Material unterschieden werden. Zudem kann der Polymertyp Aufschluss geben über die Herkunft des aufgenommenen Plastiks. Zuletzt kann durch die Analyse des Polymers eine erste Einschätzung gegeben werden, wie viel Zusatzstoffe in dem Plastik erwartet werden können (Abbildung 5).

Ergebnisse tragen bei zum Schutz der Meere und ihrer Bewohner

Die vorläufigen Ergebnisse der FTIR-Messungen bestätigen vorherige Resultate: Die durch Eissturmvögel am häufigsten verschluckten Plastikteile bestehen zum größten Teil aus Polyethylen und Polypropylen, zwei Kunststoffen, die zu den meistproduzierten der Welt gehören und zumeist an der Oberfläche der Ozeane treiben. Diese Ergebnisse können auch der Politik dienen, zum Beispiel um Regelungen zu treffen, die den Einstrom bestimmter Plastiktypen in die Umwelt weiter einschränken. Auch jeder Mensch kann dazu beitragen: Durch bewussten Umgang mit Plastik(-abfall) kann die Menge des Meeresmülls reduziert und damit der Eissturmvogel geschützt werden. Eine Statistik aus den Niederlanden zeigt, dass von 1979 bis 2021 die Menge des Plastiks in Vogelmägen signifikant abgenommen hat. Die Abnahme hängt vermutlich mit der breiten Aufmerksamkeit bei Politik und Gesellschaft zusammen, die der Plastikmüll in den vergangenen Jahren verursacht hat. Aufklärung und strengere Regeln tragen dazu bei, dass zumindest innerhalb der Nordsee der Plastikmüll langsam abnimmt. Nichtsdestotrotz hat nach wie vor praktisch jeder Eissturmvogel in der Nordsee (über 90 %) Polymerteile im Magen.[6, 7]

Weiterführende Literatur

[1] “Plastikmüll im Meer, Eissturmvogel als Bioindikator”, Nils Guse et all, excerpt from Wattenmeer – Issue 2014-3 Meeresmuell.pdf, wattenmeer2014-3Meeresmuell.pdf (schutzstation-wattenmeer.de)

[2] “A closer look at plastics from fulmar stomachs”, Wageningen University Research, March 2015

[3] “Plastic ingestion by juvenile polar cod (Boreogadus saida) in the Arctic Ocean”, Susanne Kühn, Fokje L. Schaafsma, Bernike van Werven, Hauke Flores, Melanie Bergmann, Marion Egelkraut-Holtus, Mine B. Tekman, Jan A. van Franeker; Polar Biology, https://doi.org/10.1007/s00300-018-2283-8, February 8th, 2018

[4] “The animal kingdom suffers from plastic wastes – FTIR analysis of polymers in fulmars”, Shimadzu News 1/2015, Shimadzu News 2015 | SHIMADZU EUROPA

[5] “In every ocean, at every depth – microfibers and microplastics”, Shimadzu News 2/2018, NEWS_02_2018_ENG:Layout 1 (shimadzu.eu)

[6]“Fulmar Litter Monitoring in the Netherlands – Update 2021”, Kühn, S., Meijboom, A., Bittner, O., Van Franeker, J.A., 2022., Den Helder, The Netherlands, pp 59 doi https://doi.org/10.18174/575038

[7] “Der Eissturmvogel und das Plastik. Seevögel”, Kühn, S., Guse, N., Garthe, S., Enners, L., Van Franeker, J.A., 2022. 43: 72-82, Full issue: https://www.jordsand.de/2023/01/25/sonderheft-%C3%BCber-eissturmvogel-ver%C3%B6ffentlicht/